Mittwoch, 27. Mai 2015

El niño limitado

Zwischen Folter und Philanthropie - Die armen Kinder des "Präsidenten" Pinochet

Artikel auf Spanisch unter folgendem link:
http://latinodada.blogspot.de/2015/05/el-nino-limitado.html

Chile war nach dem 11. September 1973 eine Diktatur. Eine "Junta Militar" unter General Augusto Pinochet (1915-2006) sicherte sich durch staatliche Repression und gefälschte Wahlen die Macht. Ein Teil der Gesellschaft, vertreten durch unterschiedliche zivile und militärische Organisationen, unterstützte die Junta. Viele Chilenen, die damals von der Diktatur profitierten, vermeiden noch heute die Bezeichnung "dictadura" und sprechen von dem "régimen militar" - dem Militärregime.

Mit dem dem gewählten Präsidenten Salvador Allende (1908-1973) starb am 11. September auch der Willen vieler Chilenen, mit demokratischen Mitteln an der Entwicklung ihres Landes mitzuarbeiten. Die Militärdiktatur leitete eine umfassende Privatisierung der Wirtschaft und des öffentlichen Sektors ein. Nach einer langen Zeit des Kampfes für einen Ausgleich zwischen den indigenen Einwohnern und den Mestizen sowie zwischen den Bewohnern der Stadt und der Landbevölkerung wurden die Gegensätze der tief gespaltenen chilenischen Gesellschaft für 16 Jahre neu fundamentiert.
Feiern zum Weltkindertag - 1978 - Región Metropolitana
Fünf Jahre nach dem blutigen Staatsstreich - im Dezember 1978 - feierte das bis dahin größte mediale Ereignis in der chilenischen Geschichte die TV-Premiere - eine Spendengala für behinderte Kinder armer Eltern - die "Teletón" - moderiert von Mario Luis Kreutzberger Blumenfeld, genannt "Don Francisco":

Die Teletón sammelte Spenden für das "niño lisiado" - die Bezeichnung für ein Kind mit physischen Behinderungen. Es war "das" große jährlich wiederkehrendes Ereignis gemeinsamer Anstrengungen für Kinder, die Hilfe benötigten. Jedes Jahr gab es eine neue Hymne. 1980 war es "De pie la esperanza" ("Es ersteht die Hoffnung"):


Foto: www.coanil.cl/
1974 gründete sich die "Stiftung zur Hilfe für das behinderte Kind" - "Fundación de Ayuda Al Niño Limitado" (COANIL), deren Ziel es war, Wohnheime und Schulen im ganzen Land zu gründen. Die sollten zu einer Verbesserung der sozialen und der wirtschaftlichen Situation behinderter Kinder beitragen, besonders in den sehr armen Gegenden des Landes.


Im Dezember 1978, als die Chilenen (jedoch nur diejenigen, die sich einen Fernseher leisten konnten) zum ersten Mal die Teletón sahen, schien es so, als würde das ganze Land für die Verbesserung der Situation der kleinsten und hilflosesten Mitbürger zusammenstehen. Eine der größten Spenden leistete General Pinochet.

Doch obwohl Chile bis zu Beginn der 1980er Jahre einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung nahm, war es doch ein großer Teil der chilenischen Gesellschaft (einige Quellen sprechen sogar von 50%), die davon nicht profitierten - Die ärmsten der Bevölkerung und ihre Kinder. "El Señor Presidente” war eifrig darum bemüht, dass diese "niños pobres” - arme Kinder - nicht zu “niños resistentes” - zu Kinder im Widerstand gegen sein Regime wurden.

Für die Regierungszeit der Junta Militar sind 107 Fälle von Gewalt gegen Kinder im Alter bis zu 17 Jahren bekannt. Es gab 34 Hinrichtungen, 20 verschwundene Häftlinge, 12 Tote aufgrund von politisch motivierter Gewalt und 41 durch Machtmissbrauch und Gewaltanwendung. 54% der Kinder waren zum Zeitpunkt ihres Todes 16 oder 17 Jahre alt, 26% sogar erst 14 oder 15.
 
Schulumzug zum Nationalfeiertag - 1976 - Región de Coquimbo
Eine Maßnahme der Regierung Pinochet war es, möglichen Widerstand durch politische Vereinnahmung zu ersticken. Ab 1973 gab es eine Renaissance der "desfiles escolares", der "Schulumzüge", so zum Beispiel die offiziellen Auftritte chilenischer Jugendlicher an Feiertagen wie der "Llama de la Libertad" ("Der Ruf der Freiheit"), national organisierter Frühlingsfeste und anderer ähnlicher Großereignisse. In der Schule wurde, auch noch viele Jahre nach Ende der Diktatur, nicht über die Regierung der Unidad Popular unter Salvador Allende gesprochen. 


Die "Carabineros de Chile" war und ist die einzige uniformierte Polizeigruppe. Die "Policía de Investigaciones" (PDI) - die Geheimpolizei - arbeitet in Zivil. Das Aufgabengebiet der Carabineros ist breit gefächert: Verkehrsreglung, Grenzsicherung, Wahrung der öffentlichen Sicherheit bis hin zur Durchsetzung der politischen Bestimmungen in der Diktatur. Diese letzte Aufgabe ist im kollektiven Gedächtnis der Chilenen auch heute noch mit der Zeit zwischen 1973 und 1989 verbunden. Trotz alledem - und das mag auf deutsche Betrachter eigentümlich anmuten - stehen die Carabineros vor, während und nach der Diktatur auch für Patriotismus, Nobilität und Aufopferung.

Eine Beispiel für eine Veranstaltung der "Brigadas escolares" - das Engagement der Carabineros in Jugendorganisationen - Dokumentation aus dem Jahr 2010:

Im Jahr 1997, neun Jahre nach dem "No" für eine weitere Amtszeit Pinochets im Rahmen eines Referendums (auf Druck der internationalen Gemeinschaft) - also neun Jahre nach dem Ende der Diktatur, zählte ein Bericht der Carabineros 2.450 zugehörige Jugendorganisationen mit 60.722 Mitgliedern auf. Die Verquickung von Militär und Gesellschaft war und ist in Chile bis heute viel intensiver als in Deutschland. 

Aus einer ersten Recherche in den Archivakten des Gesundheitsministeriums im Zeitraum zwischen 1973 und 1978 geht hervor, dass die Militärjunta mehrere neue Programme im Gesundheits- und im Bildungsbereich startete, um die Situation des  “niño pobre” zu verbessern. Es konnte jedoch weder die Armut großer Teile der Bevölkerung erfolgreich bekämpft, noch die tiefen Wunden geheilt werden, die den unschuldigsten Opfern der Diktatur zugeführt wurden - den Kindern, die selbst oder deren Eltern verfolgt, gefoltert und getötet wurden.
"Schutz des niños limitado” – Briefmarke 1977 [Foto: mercadolibre.com]
Am 13. August 1999 entdeckte man die Leiche des im Oktober 1973 verschwundenen Carlos Patricio Farina Oyarce. Er war im Alter von 13 Jahren entführt worden. Eines der bekanntesten Opfer der Diktatur. Link zum Trailer des Films "Mi hermano y yo" ("Mein Bruder und ich"), der sich mit dem Schicksal des Jungden beschäftigt:




------------------------------------------------------------------------------------ Bildquellen für diesen Artikel/Post: http://www.memoriasdelsigloxx.cl/

Literatur für diesen Artikel/Post: "Historia de la Infancia en el Chile republicano 1810-2010" von Jorge Rojas Flores. Das komplette Buch (Spanisch) ist im Internet unter folgenem link veröffentlicht: 
http://web.integra.cl/doctos_cedoc/archivos/documentos/historia_infancia_chile_republicano_academico%5B1%5D.pdf


Sonntag, 17. Mai 2015

Kunst von Häftlingen und Überlebenden der NS-Zwangslager

Ein Essay von Jörn Wendland

Kunst im KZ? Das erscheint kaum vorstellbar. Wer nicht zu den Millionen Ermordeten gehörte, litt unter Hunger, Krankheit, Folter und Zwangsarbeit. Und doch gelang es einigen Gefangenen sich in den Lagern künstlerisch zu betätigen. Auch unmittelbar nach der Befreiung fertigten zahlreiche Überlebende Bilder über ihre Lagerzeit an. Was waren ihre Beweggründe? Wie waren die Möglichkeiten der Kunst im KZ? Und können diese als Kunst bezeichnet werden, oder sind sie eher als Dokumente zu betrachten? Dieser Essay versucht Antworten zu geben und einen Überblick über die Kunst der Häftlinge und Überlebenden aus den NS-Zwangslagern zu liefern...

Den vollständigen Artikel finden Sie/findet Ihr unter:
http://lernen-aus-der-geschichte.de/sites/default/files/imagecache/resize/attach/beitrag/kunst-von-haeftlingen-und-ueberlebenden-der-ns-zwangslager/thomas-geve-bild-3.png
Thomas Geve: "Wir sind frei" - Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald 1945 - Thomas Geve war zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt.