Dienstag, 10. März 2015

El derrotero del gringo loco



Neues aus der Cleta



Sie stammen von dem Indianerstamm der Mapuche und den spanischen Kolonialherren ab. So beschreiben sie sich wenn ich sie nach ihrer Herkunft frage. Sie sind stolz darauf, die Nachfahren der Mapuche zu sein - eines stolzen Volkes, dass sich als einziges in Südamerika erfolgreich gegen die „Konquistadores“ zur Wehr setzte.

Die trockenste Wüste der Welt im Norden, im Osten die Anden, im Süden und Westen das Meer. Irgendwo dazwischen liegt die Bar in der ich sitze, genannt „La Cleta“. Sie hat einen Hinterhof - einen Biergarten mit lauter Rockmusik: Faith no more, Soundgarden, pearl jam. In der Bar steht ein Spielautomat, im Fernsehr läuft Wrestling. Zwei Businesstypen, ein Paar Verliebter und viele junge Männer, die rein und rausgehen, telefonieren, texten, trinken.

In Santiago gibt es eine Metro, Kentucky Fried Chicken, europäische Anonymität und Smog. In Talca wo die Cleta an der eintönigen Hauptverlehrsstraße liegt gibt es nur einen Kiosk. Ein Pferdegespann fährt vorbei, hunderte Kinder in Schuluniform warten auf das Mikro, den langsamen, alten schäbigen Bus, der sie zurück zu ihren Familien bringt. 
In der Cleta gewinnt gerade der Typ mit dem Borstenschnitt gegen den langhaarigen Typ in StarsAndStripes-Unterhose. Niemand guckt hier Wrestling. Überall in Südamerika läuft der Fernseher immer aber niemand schaut hin.

Chile ist ein Land der Extreme. Arica liegt von Santiago aus gesehen 2000km nördlich. Eine andere Welt. Genauso wie hier in Talca. 250 km südlich von Santiago ist es im März noch heißer als in der Hauptstadt. Offspring mit „The kids aren’t alright“. Ich bin der einzige, der nicht aus Chile ist, der einzige Gringo (Bleichgesicht). Eine berühmte chilenische Legende heißt „El derrotero del gringo loco“ – „Der Weg des verrückten Gringos“.
Einfache Plastikstühle an Campingtischen. Jetzt ist eine Frau reingekommen. Sie wird von allen jungen Männern herzlich umarmt. Im Fernsehen betreten eine blonde Frau Mitte Fünfzig im StarsAndStripes-Top und eine rothaarige junge Frau voller Muskeln die Wrestlingbühne.

Man kann die Chilenen schlecht verstehen. „Ellos comen las palabras“ – „Sie essen die Wörter“. Man versteht nur die erste Silbe, den Rest muss man eraten. Manchmal verstehe ich noch nicht einmal die erste Silbe. Der eine junge Mann behauptet nicht ohne Stolz, dass die Chilenen die schlechteste Aussprache Südamerikas haben. Die Amazonen würgen sich. Silverchair spielen auf.

Man fällt hier als Gringo nicht so sehr auf wie in Bolivien oder Peru. Sogar in Talca wird man nur teilnahmslos wahrgenommen. Oder spielen sie mir nur etwas vor? Ich kann den Blick nicht von den kämpfenden Amazonen lassen. Die jungen Männer gucken nur auf ihre „Celus“ – auf ihre Smartphones. Die Frau ist schon wieder weg. Die Musik wechselt zu Techno.

Welches sind die neuen aktuellen Rockbands aus Chile? Keiner hat eine Antwort. Wie überall in Südamerika scheinen Cumbia und Reggaeton alles platt zu machen. Genauso wie die 50jährige Kämpferin im StarsAndStripes-Top die Rothaarige mit dem schönen Gesicht und den häßlichen Muskeln.

Worauf sind alle Chilenen stolz? Auf das Südamerika-weit bekannte Comic „Condorito“, auf den Schrifsteller Pablo Neruda, die Aussicht vom Berg San Cristóbal auf das Häusermeer von Santiago (5 Mio Einwohner) und - genauso wie alle Südamerikaner – auf ihr Essen.

Ich wollte chilenische Zigaretten, man gab mir Lucky Strike, ich wollte ein chilenisches Bier, man gab mir „Kunstmann“ (von deutschen Brauern aus dem Süden Chiles), ich wollte etwas über die Diktatur Pinochets erfahren, man erzählte mir vom Golpe – vom Militärputsch am 11. September 1973. Über die Zeit nach dem Putsch erzählen die Chilenen nicht gerne. In der Stadtverwaltung von Talca werde ich an verschiedene Beamte weitergereicht und auf den nächsten Tag vertröstet ... auf den nächsten, auf den nächsten ... und dann finden sie nichts. „Das Erdbeben 2010 ist Schuld.“

Der Kolumbianer Gabriel García Márquez beschreibt in seinem Buch „100 Jahre Einsamkeit“ die Verlorenheit, das lange Warten und die ewig gleichen Wiederholungen im Leben der Menschen Südamerikas. Nirgendwo wird diese leichte unterschwellige Einsamkeit deutlicher als in Chile. Nirgendwo sonst scheint sich der Tag immer und immer wieder zu wiederholen. Im Fernsehen betreten zwei neue Wrestler die Bühne.

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