Neues aus der
Cleta
Sie
stammen von dem Indianerstamm der Mapuche und den spanischen Kolonialherren ab.
So beschreiben sie sich wenn ich sie nach ihrer Herkunft frage. Sie sind stolz
darauf, die Nachfahren der Mapuche zu sein - eines stolzen Volkes, dass sich
als einziges in Südamerika erfolgreich gegen die „Konquistadores“ zur Wehr
setzte.
Die
trockenste Wüste der Welt im Norden, im Osten die Anden, im Süden und Westen
das Meer. Irgendwo dazwischen liegt die Bar in der ich sitze, genannt „La Cleta“.
Sie hat einen Hinterhof - einen Biergarten mit lauter Rockmusik: Faith no more,
Soundgarden, pearl jam. In der Bar steht ein Spielautomat, im Fernsehr läuft
Wrestling. Zwei Businesstypen, ein Paar Verliebter und viele junge Männer, die
rein und rausgehen, telefonieren, texten, trinken.
In
Santiago gibt es eine Metro, Kentucky Fried Chicken, europäische Anonymität und
Smog. In Talca wo die Cleta an der eintönigen Hauptverlehrsstraße liegt gibt es
nur einen Kiosk. Ein Pferdegespann fährt vorbei, hunderte Kinder in
Schuluniform warten auf das Mikro, den langsamen, alten schäbigen Bus, der sie
zurück zu ihren Familien bringt.
In der Cleta gewinnt gerade der Typ mit dem
Borstenschnitt gegen den langhaarigen Typ in StarsAndStripes-Unterhose. Niemand
guckt hier Wrestling. Überall in Südamerika läuft der Fernseher immer aber
niemand schaut hin.
Chile
ist ein Land der Extreme. Arica liegt von Santiago aus gesehen 2000km nördlich.
Eine andere Welt. Genauso wie hier in Talca. 250 km südlich von Santiago ist es
im März noch heißer als in der Hauptstadt. Offspring mit „The kids aren’t alright“.
Ich bin der einzige, der nicht aus Chile ist, der einzige Gringo
(Bleichgesicht). Eine berühmte chilenische Legende heißt „El derrotero del
gringo loco“ – „Der Weg des verrückten Gringos“.
Einfache
Plastikstühle an Campingtischen. Jetzt ist eine Frau reingekommen. Sie wird von
allen jungen Männern herzlich umarmt. Im Fernsehen betreten eine blonde Frau
Mitte Fünfzig im StarsAndStripes-Top und eine rothaarige junge Frau voller
Muskeln die Wrestlingbühne.
Man
kann die Chilenen schlecht verstehen. „Ellos comen las palabras“ – „Sie essen
die Wörter“. Man versteht nur die erste Silbe, den Rest muss man eraten.
Manchmal verstehe ich noch nicht einmal die erste Silbe. Der eine junge Mann
behauptet nicht ohne Stolz, dass die Chilenen die schlechteste Aussprache
Südamerikas haben. Die Amazonen würgen sich. Silverchair spielen auf.
Man
fällt hier als Gringo nicht so sehr auf wie in Bolivien oder Peru. Sogar in
Talca wird man nur teilnahmslos wahrgenommen. Oder spielen sie mir nur etwas
vor? Ich kann den Blick nicht von den kämpfenden Amazonen lassen. Die jungen
Männer gucken nur auf ihre „Celus“ – auf ihre Smartphones. Die Frau ist schon
wieder weg. Die Musik wechselt zu Techno.
Welches
sind die neuen aktuellen Rockbands aus Chile? Keiner hat eine Antwort. Wie
überall in Südamerika scheinen Cumbia und Reggaeton alles platt zu machen. Genauso
wie die 50jährige Kämpferin im StarsAndStripes-Top die Rothaarige mit dem
schönen Gesicht und den häßlichen Muskeln.
Worauf
sind alle Chilenen stolz? Auf das Südamerika-weit bekannte Comic „Condorito“,
auf den Schrifsteller Pablo Neruda, die Aussicht vom Berg San Cristóbal auf das
Häusermeer von Santiago (5 Mio Einwohner) und - genauso wie alle Südamerikaner
– auf ihr Essen.
Ich
wollte chilenische Zigaretten, man gab mir Lucky Strike, ich wollte ein
chilenisches Bier, man gab mir „Kunstmann“ (von deutschen Brauern aus dem Süden
Chiles), ich wollte etwas über die Diktatur Pinochets erfahren, man erzählte
mir vom Golpe – vom Militärputsch am 11. September 1973. Über die Zeit nach dem
Putsch erzählen die Chilenen nicht gerne. In der Stadtverwaltung von Talca
werde ich an verschiedene Beamte weitergereicht und auf den nächsten Tag
vertröstet ... auf den nächsten, auf den nächsten ... und dann finden sie
nichts. „Das Erdbeben 2010 ist Schuld.“
Der
Kolumbianer Gabriel García Márquez beschreibt in seinem Buch „100 Jahre
Einsamkeit“ die Verlorenheit, das lange Warten und die ewig gleichen
Wiederholungen im Leben der Menschen Südamerikas. Nirgendwo wird diese leichte
unterschwellige Einsamkeit deutlicher als in Chile. Nirgendwo sonst scheint
sich der Tag immer und immer wieder zu wiederholen. Im Fernsehen betreten zwei
neue Wrestler die Bühne.
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