Freitag, 17. Januar 2014

Bauen und Lernen

Die Jugendwerkstatt „Krefelder Straße“ auf Entdeckungsreise in Köln
Am 14. Januar 2014 trafen sich die Mitglieder einer Jugendwerkstatt am Kölner Dom. Für eineinhalb Stunden tauchten sie in die Geschichte ihrer neuen Heimatstadt ein. Bei den neun Teilnehmern handelte es sich um Jugendliche mit schweren sozialen und familiären Problemen - Migranten und Flüchtlinge. 
Zur Stadt Köln gehören 9 Jugendwerkstätten. Sie sind Teil der Jugendberufshilfe des Amts für Kinder, Jugend und Familie Köln. Zwei Gruppen von Jugendlichen zwischen 16 und 26 Jahren besuchen ein Jahr lang täglich diese Zentren theoretischer und praktischer Weiterbildung: Flüchtlinge aus afrikanischen, asiatischen und europäischen Ländern sowie Schüler, die aufgrund problematischer Verhältnisse in ihren Familien und ihrem sozialen Umfeld in den verschiedenen Schulformen nicht zurechtkamen. In den Jugendwerkstätten erhalten sie die notwendigen theoretischen Grundlagen, um einen Hauptschulabschluss machen zu können, werden jedoch auch in der Metall- und Holzverarbeitung sowie in der Fahrradreparatur geschult. Vorrangiges Ziel ist es dabei nicht, eine Berufsausbildung zu machen, sondern einen strukturierten Tagesablauf, Strategien zur Problemlösung und Kooperation im Team zu erlernen. Lange Vorträge und hunderte von Jahreszahlen waren darum auch nicht der Schwerpunkt der Stadtführung am 14. Januar mit Markus Thulin.
Nachdem die Jugendlichen aus Guinea, Afghanistan, Algerien, Deutschland, Serbien und der Elfenbeinküste die wichtigsten Informationen zum Kölner Dom und dem Dionysosmosaik im Römisch Germanischen Museum erhalten hatten, erhielten sie die Aufgabe, im Team ihren „eigenen Dom“, den Tower of Power zu bauen (siehe Fotos). Auch hier ging es nur vordergründig darum, in einem bestimmten Zeitrahmen Holzklötze aufeinander zu stapeln. Viel wichtiger war es, die Erfahrung zu machen, gemeinsam etwas zu erreichen. Anfängliche Skepsis, Ungeduld und Uneinigkeit wurden mit jedem erfolgreichen Schritt zum Aufbau eines Turms überwunden, der zwar sehr viel kleiner als die gotische Kathedrale, jedoch im Erleben der neun (Neu)Kölner beeindruckender als das mittelalterliche Bauwerk (im Hintergrund der Fotos) war.
Im Anschluss an den Rundgang durch die Altstadt besuchten die Jugendlichen das Kölnische Stadtmuseum. Hier erfuhren sie, dass es dass auf dem Alter Markt eine „Kotzbank“ gegeben hat, warum Caspar Vopelius‘ Globus (link) so wertvoll ist, wofür man im Mittelalter eine Spottkrone verwendet hat und welches die Leistungen Konrad Adenauers für Köln waren.

Informationen zu den Kölner Jugendwerkstätten:
Stadtführungen für Besucher aller Altersgruppen:
http://www.thulintours.com/

Fotos: M. Thulin

Freitag, 3. Januar 2014

Bargeld für Baargeld

Leben und Grab des Johannes Theodor Baargeld aus Köln

Es gibt Leute, die haben ein spezielles Erkennungszeichen. Sie werden von ihm geradezu symbolisiert, auch über den Tod hinaus. 
Auf Bernhard-Viktor von Bülows (Loriot) Grab auf dem Berliner Friedhof Charlottenburg sammelt man Quietscheentchen:
Foto: http://www.tagesspiegel.de/berlin/auf-loriots-friedhof-in-berlin-charlottenburg-der-engel-der-ein-erpel-war/9065156.html
Auf dem Grab Johannes Theodor Baargelds an einer der Hauptalleen des Kölner Melatenfriedhof sind es Geldmünzen:
Foto: M. Thulin
Doch wer war dieser "Baargeld"?

Johannes Theodor Baargeld, Jahrgang 1892, mit Max Ernst und Hans Arp Gründer der Kölner Dada-Gruppe, war Sohn eines Versicherungs-Generaldirektors. Er legte den bürgerlichen Namen Gruenwald ab, gab die Dadaisten Zeitung "Schammade" heraus und dichtete.

Bimmelresonnanz II

Bergamotten flotten im Petroleumhimmel
Schwademasten asten Schwanenkerzen
Teleplastisch starrt das Cherimbien Gewimmel
In die überöffneten Portierenherzen
Inhastiert die Himmelbimmel

Feldpostbrief recochettiert aus Krisenhimmel
Blinder Schläger sternbepitzt sein Queerverlangen
Juste Berling rückt noch jrad die Mutterzangen
Fummelmond und ferngefimmel
Barchenthose flaggt die Kaktusstangen [...]
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Walter Vitt - Auf der Suche nach der Biographie des Kölner Dadaisten Johannes Theodor Baargeld
Walter Vitt [Foto: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=1333]
Walter Vitt ist der Herausgeber der literarischen Ergüsse des Grafikers, Dichters  und Publizisten Baargeld, der vollkommen von den politischen und künstlerischen Verwicklungen der turbulenten Gründungsjahre der Weimarer Republik aufgesogen wurde. Vitt nennt Baargald den typischen Vertreter einer Generation, die mitansehen musste, wie der Erste Weltkrieg, den Baargeld als Kriegsfreiwilliger erlebte, alle bekannten Strukturen ihrer heilen Welt im Obrigkeitsstaat zerstört hatte. Durch die Dekonstruktion der traditionellen Normen wollten sie ihre innere Auseinandersetzung auch in der Kunst darstellen. 

Walter Vitt hat in seiner aktiven Laufbahn als Redakteur beim WDR einen Film über die Kunstszene im Köln der 1920er Jahren machen wollen. Im Verlauf der Recherche stieß er auf Johann Theodor Baargeld, den einzigen begüterten Künstler im Kreise notorisch blanker Kollegen. Er musste die Rechnungen in den Kölsch Kneipen bezahlen. So erhielt er neben "Zenztrodada" den heute weit bekannteren Spitznamen "Baargeld".

Von der Promotion im Versicherungswesen bis hin zum Mitglied der von der SPD abgespalteten USPD, der Partei Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts:  Das turbulente Leben des ebenso produktiven wie getriebenen Baargeld, eines Vertreters der Punkbewegung der 1920er Jahre, wie man den Dadaismus nennen könnte, wurde für die nächsten 30 Jahre zum primären Forschungsobjekt von Walter Vitt.

Auf dem Friedhof Melaten, dem Kölner Prominentenfriedhof, in der Nähe zum Grab von Willy Millowitsch und der vorbereiteten (jedoch noch nicht bezogenen) Gruft des Saturn-Gründers Fritz Waffenschmidt, pflegt Vitt das Grab seines Lebensinhalts, forscht über ihn, flog sogar mit Reinhold Messner die Strecke in den Alpen ab, auf der Zentrodada 1925 aufstieg, um am Mont Blanc abzurutschen und zu verunglücken. Seine Eltern hatten drei Söhne. Alle sind sie vor ihnen verstorben. 2009 verlor Walter Vitt seine Frau. Seitdem steht der Grabstein seines Familiengrabes neben dem des Zentrodada:
Foto: M. Thulin
Sowie die Raute nicht alleine stehen kann, wüde auch der Winkel umkippen. Die Instabilität beider Objekte wird jedoch durch ihre Kombination aufgehoben. Hier liegt das Prinzip des Dadaismus: Neues erschaffen aus dem Zerstörten. Eine völlig neue Art der Kunst.

Das dichterische Werk des Johann Theodor Baargeld hat Walter Vitt 2002 veröffentlicht:
Johannes Theodor Baargeld: „Fummelmond & ferngefimmel - Lyrik und Prosa des Zentrodada“ Herausgegeben von Walter Vitt. Steinmeier. 72 S., 23 Abb., Euro 12,80

Und so lang und kompliziert der Titel, so ereignisrech war auch die Recherche Walter Vitts für das folgende Buch:
(Hrsg.): Auf der Suche nach der Biographie des Kölner Dadaisten Johannes Theodor Baargeld. Keller, Starnberg 1977

Fundort: Bimmelresonanz II
http://members.peak.org/~dadaist/English/Graphics/bimmelresonnanz.html

Erstmals wurde 2011 auf diesem Blog über Johann Theodor Baargeld berichtet:
http://zentrodada.blogspot.de/2012/07/sic-transit-gloria-mundi.html