Zu
Deinem Post habe ich ein paar Anmerkungen. Zum einen bin ich noch nicht
dazu gekommen, das „Museo de la Memoria“ zu besuchen. Es
wurde mir aber berichtet, dass einerseits bei der Errichtung und der
Konzeption die Agrupación de Familiares de Detenidos Desaparecidos nicht
beteiligt wurde, andererseits aber auch der Opfer auf Seiten der
Militärs und der Polizei gedacht wird. Das scheint
mir eine ähnlich gespaltene Gesellschaft in der Aufarbeitung zu sein,
wie in Spanien, wo heute noch Franco-Statuen stehen und das Valle de los
Caidos immer noch so ist wie zu Francos Zeiten. Ganz zu schweigen
davon, dass die Geschichtsbücher in den Schulen
Vieles verschweigen.
Dann
ist die Rede vom Selbstmord Allendes. Ich persönlich neige dazu, es so
zu beschreiben, dass Allende bei dem Putsch ums Leben gekommen
ist. Gegen die Selbstmordtheorie (trotz angeblicher Beweise durch die
Obduktion letztes Jahr) ist auch ein Buch in Chile herausgekommen. Und
wenn ich nach den Informationen gehe, den offiziellen wohlgemerkt, habe
ich gerade deswegen Zweifel. Allende wurde
von zwei Kugeln aus seiner Kalaschnikow AK-47 getötet, sagt die
offizielle Version. Die Kalaschnikow ist ein Sturmgewehr, das man auf
Einzel- und auf Dauerfeuer einstellen kann. Ist es auf Einzelfeuer
gestellt, so ist es zweifelhaft, dass Allende nach dem
einen tödlichen Schuss noch ein zweites Mal abgedrückt haben soll. Dazu
muss man nämlich den Abzugshebel loslassen und erneut abdrücken. Ist
aber auf Dauerfeuer eingestellt, so werden sich mit einem
Zeigefingerdurchzug wesentlich mehr Schüsse auslösen als
nur zwei.
Die
vorherigen und auch die gerade erst aufgetauchten Zeugen der
Geschehnisse von vor über 40 Jahren sind für mich nicht sehr
glaubwürdig,
gerade die Ärzte weil sie erst jetzt in letzter Zeit „auspacken“. Sie
hätten ohne Gefahr wesentlich früher etwas sagen können. Insgesamt soll
es also fünf direkte Zeugen gegeben haben, alle zum Zeitpunkt des
Suizids Augenzeugen: Die Ärzte Patricio Guijón und
José Quiroga, die Sicherheitsbeamten David Garrido und Ricardo
Pincheira sowie Pablo Manuel Zepeda Camillieri (Mitglied der Garde
Allendes). Aber keiner der fünf bestätigt die Anwesenheit der insgesamt
vier anderen. Die beiden Ärzte wollen den Suizid durch
jeweils eine geöffnete Tür gesehen haben. Wieviele Türen gab es noch
für die anderen Zeugen? Zudem decken sich einige Zeugenaussagen in Bezug
auf die zurückgelegten Wege nicht mit dem Grundriss der Moneda zu dem
Zeitpunkt des Putsches. Seltsam.
Für
die These der Ermordung von Salvador Allende spricht hingegen ein
forensischer Bericht, der auf Auffälligkeiten in der Autopsie
des Präsidenten hinweist, die noch am Abend des 11. September 1973 auf
Anordnung von Pinochet vorgenommen wurde. Darin werde nicht erwähnt,
dass das Austrittsloch der Kugel nicht mit der angeblich benutzten Waffe
übereinstimmt. „Die Eigenschaften des Austrittslochs
der Kugel stimmen nicht mit einem Schuss aus einer Kriegswaffe überein,
wie offiziell behauptet wurde", so der Autor der Studie, Luis Ravanal.
Auf diese Aussage geht kein späterer Bericht mehr ein.
Ein
Letztes: Es ist inzwischen bewiesen dass der Präsident vor Allende,
Eduardo Frei, im Krankenbett durch eine Injektion ermordet
wurde. Es gibt Hinweise darauf, dass Neruda ebenfalls durch eine
Injektion im Krankenbett ermordet wurde, zumal auch sein Transport von
Isla Negra nach Santiago z.B. nicht in einem Hubschrauber, sondern in
einem Krankenwagen über die Landstraße führte und
augenscheinlich sehr verzögert wurde.
Putschisten
und Junta, die in Tausenden von Fällen nicht vor heimtückischem Mord
zurückschreckten, kommen für mich auch als Täter im
Fall Allende in Betracht. Erinnerst Du Dich an die Tonaufzeichnung der
Befehle von Pinochet? Er wollte, dass Allende ein Flugzeug ins Exil
angeboten werden sollte. "Es bleibt weiter das Angebot, ihn aus dem Land
zu bringen, aber das Flugzeug stürzt ab (Se
mantiene el ofrecimiento de sacarlo del país pero el avión se cae) ",
sagte Pinochet in einem Funkspruch an den Vizeadmiral Carvajal. Wenn
Allende Selbstmord begangen hätte, wäre er ihm also nur zuvorgekommen.
Warten wir ab, was die Zukunft an weiterer Aufklärung
bringt.
[Rainer Stach]