Montag, 2. September 2013

Chiles "9/11" - Teil IV

Obduktion eines Putsches

Am 4. September 1970 wurde Salvador Allende mit 36,3% der Stimmen zum Präsidenten Chiles gewählt. Bevor er das Amt übernehmen konnte, wurden  von Seiten radikaler Gegner und der US-amerikanischen CIA  mehrere Versuche unternommen, den Regierungsantritt des überzeugten Demokraten am 4.November zu verhindern. Den ersten Mordanschlag überlebte Salvador Guillermo Allende Gossens, geboren 1908 in Santiago, noch bevor er vom Parlament zum Präsidenten gewählt wurde.
Salvador Allende (Mitte) kurz vor seinem Tod am 11.09.1973 [Foto: lsg.musin.de]
Allende wurde in einer Zeit Präsident, in der die Chilenen innerhalb von 40 Jahren die Bürgerrechte der Französischen Revolution, mehrere autoritäre Regierungen, die Gleichstellung von Frau und Mann und die Durchführung freier Wahlen erlebten oder zumindest kennenlernten. Seine dreijährige Regierung stand für den ersten großen Höhepunkt der gesellschaftlichen Partizipation breiter Bevölkerungsschichten. Am Ende der Präsidentschaft Allendes etablierte sich in absoluter Verkehrung ihrer Ziele die erste Diktatur Lateinamerikas, deren Macht durch eine Verfassung zementiert wurde. Allendes Vision des demokratischen Sozialismus wurde durch die von Waffengewalt protegierte Öffnung der Märkte angeführt von General Augusto Pinochet (1915 - 2006) hinweggefegt.

Der Neoliberalismus ist eine Erfolgsgeschichte. Nicht nur in Chile, in vielen Ländern Lateinamerikas wurde er nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Richtlinie, die entweder mit aller Macht bekämpft (Allende) oder durchgesetzt (Pinochet) wurde. Doch in keinem anderen Land wurde die Marktliberalisierung, der Abbau von Schutzzöllen, die Einschränkung der Arbeitnehmerrechte und die Privatisierung des öffentlichen Sektors so radikal umgesetzt wie in Chile. Dabei hatte die Vorgängerversion, der Liberalismus, auch in Chile zuvor glänzend versagt.

General Augusto Pinochet [Foto: hispaniclondon]
Volksfrontbewegungen, die sich während der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre als Gegenmodell zur chauvinistische Weltanschauung des Faschismus  z.B. in Frankreich gebildet hatten, versuchten, eine gerechtere Verteilung der enormen chilenischen Reichtümer (z.B. Kupfer) durchzusetzen. Unter Allende kam es zur letzten großen Auseinandersetzung mit denen, die etablierte Positionen nicht aufgeben wollten. 


Und während sich in der Bundesrepublik Deutschland trotz ernsthafter Krisen so etwas wie eine soziale Form der freien Marktwirtschaft zur weltweiten Vorbildfunktion entwickelte, ging in Chile die radikale und kompromisslose Form der Mitbestimmung über das was wir 'Gemeingut' nennen, in einem blutigen Militärputsch unter. Ganz sicher waren die USA über den verlängerten Arm von Wirtschaftssanktionen und CIA-Aktionen am Sturz der Regierung Allendes beteiligt. Gestürzt wurde sie jedoch in erster Linie von den Chilenen selbst bzw. ihrer Indifferenz als die Luftwaffe am 11. September 1973 den Präsidentenpalast bombardierte.

Im März 1973 errang Allende einen Pyrrhussieg, als er mit einem spektakulären Wahlerfolg im Amt bestätigt wurde. Seine Wiederwahl trieb die Opposition endgültig auf die Seite seiner radikalen Gegner. Als Salvador Allende Selbstmord begang, um der Verhaftung zu entgehen, da gab es nur vereinzelt Widerstand in der Bevölkerung. Das sozialistische Experiment war an seiner Institutionalisierung, dem Versagen seiner Verteidiger sowie einer gegnerischen Allianz aus Neoliberalismus und Faschismus gescheitert.

Bereits auf Zentrodada erschienen:

Vortragsankündigung

Das schwierige Erbe der Diktatur

Allende - Ein Fan Rudolf Virchows

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