Samstag, 13. Oktober 2012

Das Stanford-Gefängnis-Experiment II


In der ersten Nacht wurden die Gefangenen um 2:30Uhr zu einem so genannten "Zählappell" geweckt. Es sollten noch viele weitere dieser Appelle folgen, die nur dazu dienten, die Gefangenen zu schikanieren und sie zu kontrollieren.
Foto: prisonexp.org
Nicht alle Gefangenen nahmen die Appelle ernst, weswegen es zu den ersten Auseinandersetzungen zwischen ihnen und den Gefängniswärtern kam. An dieser Stelle konnte man erstmals Eigeninitiative (oder Kreativität) bei den Aufsehern erkennen. Sie ließen die ungehorsamen Gefangenen Liegestütze machen. Diese Strafe mag vielleicht pubertär anmuten, wurde jedoch auch während des Nationalsozialismus in Konzentrationslagern angewandt. Auf dieser Skizze von Alfred Kantor, der er als KZ-Häftling angefertigt hat, kann man erkennen, dass ein Aufseher einem Gefangenen sogar noch auf den Rückten tritt. Diese Art der Bestrafung wurde auch von "Autodidakt"-Aufsehern im Stanford-Gefängnis angewandt.
Nachdem sich die Gefangenen einer Zelle am zweiten Tag weigerten, zum Appell anzutreten, die Zelltür mit ihren Pritschen verbarrikadierten und ihre Gefängniswärter sogar verspotteten eskalierte die Situation: Ihre Aufpasser brachen die Tür auf, schikanierten die Randalierer, zum Beispiel indem sie sie komplett entkleideten, und sperrten die Anführer nacheinander in Einzelhaft. An diesen Maßnahmen waren alle neun Gefängniswärter beteiligt, denn die diensthabene Schicht hatte sich Verstärkung geholt. Der Wachmannschaft wurde jedoch sehr schnell klar, dass sie den Gefangenen nicht immer im Verhältnis neun zu neun gegenübertreten konnten. Sie richteten eine von den anderen Zellen abgetrennte "Vorzugszelle" ein, in der die Gefangenen, die sich nicht am Widerstand beteiligt hatten, eingesperrt wurden. In dieser Zelle gab es besseres Essen, die Möglichkeit sich zu waschen und die Gefangenen erhielten ihre Kleidung zurück. 
Danach wurden einzelne Gefangene aus der Vorzugszelle in die anderen Zellen zurückverlegt. Nun kam es unter den Gefangenen zu gegenseitigen Verdächtigungen, weil vermutet wurde, dass es sich bei den Rückkehrern um Spione der Gefängniswärter handelte. Der Zusammenhalt unter den Gefangen brach zusammen.
Ähnliche Praktiken wie diese gibt es auch in echten Gefängnissen. Auch wenn keine offiziellen Studien existieren, so berichteten ehemalige Gefangene eines Gefängnisses der Staatssicherheit (ehemalige DDR), dass niemand mit den Zellengenossen redete, weil es sich bei jedem Mitgefangenen um einen potentiellen Stasi-Spion handeln konnte. In einigen US-amerikanischen Gefängnissen wird ganz bewusst unter den Gefangenen Rassismus geschürt, um den Zusammenschluss größerer Gruppen zu verhindern.

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